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Prof. Dr. Wolfgang Stockmeier

Orgelverfall in heutiger Zeit (gwm)

Orgelverfall in heutiger Zeit

Orgelverfall in heutiger Zeit
am Beispiel der Walcker-Orgeln in Dortmund Reinoldi

DIE GERARD BUNK-ORGEL in DORTMUND REINOLDI soll zerstört werden

Die erste Walcker-Orgel in Dortmund Reinoldi wurde im Jahre 1909 mit 98+7 Register (Opus 1500) gebaut auf fünf Manualen mit fachlicher Unterstützung durch Emile Rupp. Eine zeittypische Disposition, eben unter dem Banner der Reformbewegung aus dem Elsass, war hier entstanden, die schnell Nachahmer fand. Und so sollte dem Instrument schon in kurzer Zeit ein legendärer Mythos anhaften, der auch durch die Begeisterung von Albert Schweitzer, der dort öfters konzertierte, genährt wurde. Durch die Berufung des begnadeten Komponisten Gerard Bunk geschah rasch eine Verdichtung dieser Orgelgeschichte, an die man noch gerne und wehmütig zurück denkt.

Von Reinoldi nach Hamburg Michaeliskirche über Stockholm „Blaue Halle“ nach „Barcelona“ war eine gerade Linie der Kontinuität in Oscar Walcker’s Schaffen erkennbar, die darin wurzelte, dass die entsprechenden Männer, wie Rupp, Sittard, Bonnard, Holtschneider, Gurlitt, Straube und später Hans Henny Jahnn und Mahrenholz eben da waren, die dem Orgelbauer das geistige und kulturelle Rüstzeug vermittelten und einen lebendigen Austausch von Gedanken und Praxis ermöglichten

Dieser Orgelmythos „Walckerorgel Reinoldi“ hatte das Glück mit großartigen Organisten aufgebaut zu werden und das Pech im II.Weltkrieg ein paar Treffer der Alliierten abzubekommen. Wobei ich im Angesichte der Walcker-Orgel in der Michaeliskirche Hamburg dieses Pech nicht allzu groß an die Wand malen möchte, denn wir können davon ausgehen, dass diese Orgel, wenn auch mit Mythos bedacht, sehr bald in einen Umbaustrudel geraten wäre, der dann spätestens ab den 60er Jahren dem landläufigem Sachverfranz „Taschen- Hängebälgladen = Teufelszeug, muss weg, ein paar Register kann man behalten, Reparatur lohnt nicht“ zum Opfer gefallen wäre.

Die neue Walcker-Orgel in Reinoldi wurde dann also 1958 mit nur 72 Register auf 4 Manualen (Opus 3700) mit Gerard Bunk als Sachberater gebaut, nach den zu jener Zeit gültigen Klang- und Pfeifengestaltungen.

Man kann Gerard Bunk genauso wenig wie der Firma Walcker heute den Vorwurf machen, dass sie nicht stur bei der Spätromantik geblieben sind. Gerard Bunk hat wie jeder produktive Künstler mehrere Metamorphosen durchlaufen und ist wahrscheinlich vor seinem Tode mit dieser Orgel, die er neu in Reinoldi konzipiert hat bestens zufrieden gewesen. Zumindest sind keinerlei anders lautigen Zitate von ihm bekannt.

Die Firma Walcker hatte indes die nahezu komplette Mannschaft aus Oscar Walcker’s Zeiten beim Bau der neuen Reinoldi-Orgel zur Verfügung. Die Industrialisierungsbestrebungen von Oscar Walcker wurden von seinem Enkel Werner Walcker-Mayer ebenso in gerader Linie weitergeführt. Fast alle großen süddeutschen Orgelbauer hatten sich Walcker als Ausbildungsbetrieb in den 50er Jahren ausgesucht. Alle bekannten Organisten Europas (von Germani bis Karl Richter) gingen bei Walcker ein und aus, und gaben ihre Kommentare zu den im Bau befindlichen Instrumenten ab. Die Firma wurde sehr schnell wieder das, was sie in den ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts immer in Europa war: die größte Orgelbaufirma außerhalb der USA.

Sicher, es war nicht die Zeit wie 1909, aber es war eine neue Zeit mit neuen Ideen, die man realisiert haben wollte. Letztendlich war es ein Gebot der Stunde, das zerstörte Land wieder aufzubauen. Und dazu gehörten Kirchen und Orgeln. Dass mit den Schleifladen neue und engere Mensuren kamen, dass neuer Sachverfranz da war, der alles besser wusste, als die alten Sachfranzen, all das ist bekannt und ja heute kein Haar besser. Eher schlechter, weil das Heer der in Ludwigsburg gekauften Sachverständigentitel kaum Praxis und noch weniger Allgemeinbildung mit sich schleppen. Dafür das stereotype Detail.

Seit meiner Lehrzeit war ich dutzende Male in Reinoldi und habe dort an der Orgel gearbeitet oder mit Organisten und Pfarrern Besprechungen gehabt. Ich kann mich an kein einziges Gespräch erinnern, dass irgend jemand ein grundlegendes Orgelproblem in Dortmund Reinoldi angesprochen hätte. Sondern es ist, wie Frau Henny Jahnn, (Schreiben von Frau Henny Jahnn an die Gerald Bunk Gesellschaft) der ich zutiefst dankbar bin für Ihr Engagement in dieser Sache, der genau auskalkulierte Weg, wie er immer genommen wird, wenn man eine Orgel loswerden will, die einem Zeitgeist entspricht, den man nicht mehr haben will. Aber das Geld der Allgemeinheit will man haben, und daher wendet man sich an diese, mit populistischer Agitation via Presse und anderen Medien. Im Prinzip wird hier gelogen, dass sich die Balken biegen. Kein einziges Argument wird hier eingebracht, dass es wert wäre, es überhaupt einer fachlichen Diskussion zuzuführen. Würde man ehrlich argumentieren: "Sie haben doch auch keine Lampen und Nierentische mehr in ihrer Wohnung aus den 50er Jahren, und wir wollen jetzt auch keine solche Orgel mehr" - dann wäre zwar wieder etwas Wahrheit in die Kirche einmarschiert, aber die Spender würden sich rasch verziehen.

Im Endeffekt ist es so, dass eine Handvoll Organisten ganz speziellen Aufführungsmoden huldigen, welche die Allgemeinheit zu bezahlen hat, die aber gleichzeitig mit dieser speziellen Orgelmusik kaum in Berührung kommt. Daher muss intensiv und langfristig argumentiert werden. Es müssen Leute überzeugt werden, die von Orgel nichts verstehen. Da braucht man keine Fachleute, da reichen die Methoden der Bildzeitung völlig aus.

Im Angesicht von ökonomischen und ökologischen Katastrophen, die wir nach allen Regeln der Wissenschaften zu erwarten haben, wahrlich eine Borniertheit sonders gleichen. Und in jedem Falle eine Kulturhintertreibung, weil ja bestehende Kulturwerte auch zerstört werden sollen. Denn es gibt ja durchaus Menschen, die diese Orgeln der 50er Jahre sehr zu schätzen wissen, wie etwa Olivier Messiaen es tat, als er in der Stuttgarter Villa Berg die Walcker-Orgel aus 1953 eine seiner Uraufführungen spielte und per Brief an die Firma Walcker seine Begeisterung über diesen Orgelklang ausdrückte. Auch diese Orgel sollte vor 5 Jahren entsorgt werden. Eine Eingabe von mir und zweier Organisten hat dies verhindert. Das Stuttgarter Denkmalamt hat diese Orgel kurzerhand unter Denkmalschutz gestellt.

Es ist schon bemerkenswert, dass immer in Zeiten, in denen keinerlei nennenswertes Kulturschaffen anzutreffen ist, die Zerstörungswut die elementarste Kraft ist, mit der man dann antritt. Das war bei den Nazis ab 1933 prinzipiell das gleiche System, wie bei der nach dem II. Weltkrieg tätigen Nachgeburt der Orgelbewegung. Und es ist heute der gleiche nihilistische Einschlag, in dem man sagt: zuerst muss zerstört werden, dann zeige ich dir meine großartige Idee. Anstatt, dass man endlich erkennt, dass diese maßlose Materialverschwendung nicht einen einzigen Schritt näher zu einem wärmeren Christentum führt – eher weiter in die Kälte.

Einer Kirche, die sich dem Konsumismus verschrieben hat, die nicht einmal in der Lage ist, 50 oder 60 Jahre alte Kultinstrumente zu bewahren und zu pflegen, der kann man nur wünschen, dass sie bald den Laden dicht macht. Glaubwürdig ist solch eine Handlungsweise nicht.

Und genau darum geht es, um den Glauben.

Gerhard Walcker-Mayer