Die Orgeln des Eberhard Friedrich 
          Walcker (1794 -1872)
          
          
          Auszug aus "Einführung in seine Klanglichkeit von Prof. Christian 
          Bossert mit Hörbeispielen an der Walcker-Orgel Hoffenheim "
          
          Eberhard Friedrich Walcker darf als der 
          bedeutendste deutsche Orgelbauer des 19. Jahrhunderts angesehen 
          werden. Mit seinem Schaffen sind grundlegende klangliche und 
          technische Neuerungen verbunden, welche die Epoche des romantischen 
          Orgelbaus in Deutschland begründeten und international Schule bildend 
          wirkten. Seine monumentalen Werke insbesondere die 1833 vollendete 
          Orgel der Frankfurter Paulskirche bilden das Pendant zu den 
          Kathedralorgeln des 17 Jahre jüngeren Aristide Cavaillé-Coll in 
          Frankreich. Die richtungweisende Walcker-Orgel der Frankfurter 
          Paulskirche existiert nicht mehr. Max Reger hat an diesem Instrument 
          die Uraufführung seiner ersten Suite op. 6 erlebt. Während seiner 
          Wiesbadener Jahre wurde ihm die Walcker-Orgel in der dortigen 
          Marktkirche mit all ihren Facetten vertraut. Diese Instrumente 
          beeindruckten Reger so sehr, dass sie ihm zu einer wesentlichen 
          Inspirationsquelle für sein gesamtes weiteres Orgelschaffen wurden. 
          Die Orgel der evangelischen Kirche im nordbadischen Hoffenheim (1846, 
          op. 62) nimmt unter den noch existierenden Instrumenten Eberhard 
          Friedrich Walckers eine Sonderstellung ein. Sie zeichnet sich durch 
          eine besonders hohe Qualität der handwerklichen Ausführung sowie der 
          Intonation aus und ist nahezu unverändert erhalten. Dank ihrer 
          subtilen Klanglichkeit vermittelt diese Orgel eine Vorstellung von der 
          revolutionaren Aussagekraft der Instrumente Eberhard Friedrich 
          Walckers.
          
          Sich mit dem Orgelbauer Eberhard 
          Friedrich Walcker auseinander zu setzen bedeutet einem genialen 
          Künstler gegenüber zu treten, dessen Schaffen sich des Handwerks 
          meisterlich bedient und dessen Denken auf einen Entwurf universaler 
          Dimension abzielt. Walcker wurde in eine Zeit hineingeboren, die von 
          Umbrüchen in Politik und Kultur gekennzeichnet war. Hier sind als 
          Stichworte zu nennen: die französische Revolution, die Vasallentreue 
          des Königreichs Württemberg gegenüber Napoleon Bonaparte sowie die 
          musikästhetischen Ansatze von Christian Daniel Friedrich Schubart und 
          das Wirken des Musiktheoretikers und Virtuosen Abbe Vogler. Nicht 
          zuletzt sei verwiesen auf die schwäbischen Philosophen und Literaten 
          Wilhelm Hauff, Georg Hegel, Friedrich Hölderlin, Justinus Kerner, 
          Eduard Mörike, Friedrich Wilhelm Schelling, Friedrich Schiller und 
          Ludwig Uhland. Sie alle stammten wie Eberhard Friedrich Walcker aus 
          der Umgebung der schwäbischen Metropole Stuttgart.
          
          Die Hoffenheimer Orgel gibt einen guten 
          Einblick in die Klangästhetik Eberhard Friedrich Walckers. Diese Orgel 
          ist zeitlich zwischen der großen Orgel für die Frankfurter Paulskirche 
          von 1833 und der Riesen- Orgel im Ulmer Münster von 1854 entstanden.
          
          Eine Besonderheit stellt die 
          Klangkombination aus Traversflöte 4' und Holzharmonika dar: Die 
          Traversflöte ist in der untersten Oktave als Streichregister gebaut. 
          Daraus ergibt sich im Tonverlauf eine Modulation des Klanges verbunden 
          mit einer sehr feinen Tonansprache. Ein schulebildendes Phänomen in 
          der Übergangszeit vom 18. in das 19. Jahrhundert ist das 
          Zusammenwirken von den Registerfamilien der Flöten und Streicher. 
          Durch diese Verbindung entsteht eine neue Farbästhetik deren Klang dem 
          einer Klarinette sehr ähnelt. Ein Beispiel bilden die Kombination von 
          Traversflöte, Dolce und Holzharmonika im Piano oder die Kombination 
          von den Gedeckten aus beiden Manualen, Viola di Gamba und dem 
          Prinzipal des zweiten Manuales im Forte. Erstere ist auch ein 
          Vorläufer des später gebräuchlichen romantischen Registers Vox 
          coelestis. Die Farbkombination von Flöte und Streicher als Klarinette 
          hat in Deutschland eine ähnliche Funktion wie das Register Hautbois 8' 
          in der französischen Symphonik, die dort den fond d'orgue 
          charakteristisch färbt und einen bruchlosen Übergang zu den stärkeren 
          Zungenstimmen erlangt. Es handelt sich dabei insbesondere um die 
          Intensivierung des Terzobertones wie er schon bei der 
          klassisch-französischen Orgel anzutreffen ist. Dort enthalt der als 
          Rohrflöte gebaute Bourdon den charakteristischen fünften Oberton, die 
          Terz, welche im Forte in den Terzaliquotenregistrierungen, im Cornet, 
          und in den Zungenstimmen wiederkehrt. Im Gegensatz dazu betonen die 
          Prinzipale das geradzahlige Obertonspektrum, gipfelnd in Fourniture 
          und Cymbale. Das Konzept Walckers knüpft demnach an die süddeutsche 
          und elsässische also französische Spätbarocktradition an, wie sie auch 
          Andreas Silbermann pflegte. dabei müssen zwei Bereiche unterschieden 
          werden:
          
          Die Differenzierung der Grundstimmen 
          führt süddeutsch-fränkische Traditionen weiter.
          
          Die Differenzierung des Plenum ist 
          darüber hinaus bestimmt durch französische Traditionen. Bei den 
          Plenumformen lassen sich drei Linien verfolgen:
          
          1. Das geradzahlige Obertonspektrum der 
          Prinzipale.
          
          2. das durch ungradzahlige Obertone 
          eingefärbte Plenum mit Terzmixtur und
          
          3. dessen auf Zungen aufgebaute 
          Variante, das Grandjeu, der klassisch-franzosischen Orgel.
          
                      
          
          Eine Spezialität der Orgeln Eberhard 
          Friedrich Walckers war die Physharmonika. Über einen eigenen 
          Windschweller ist die Dynamik dieses aus dem Harmoniumbau entnommenen 
          Zungenregisters veränderbar. Das Spektrum reicht von Unhörbarkeit über 
          die Lautheitsgrade von Holzharmonika oder Dolce bis hin zur Entfaltung 
          einer voll ausgebildeten Obertonigkeit. In letzt genannter Eigenschaft 
          kann man die Physharmonika im französischen Grandjeu verwenden, ja 
          sogar in einem großen Plenum eines Bachpräludiums. Die Physharmonika 
          ist also ein perfektes Mutationsregister. Im Pianissimo suggeriert sie 
          das romantische Pa-radigma schlechthin, die Aeolsharfe. Im Fortissimo 
          ersetzt sie den Clairon 4'. Wahrend im süd- und mitteldeutschen Barock 
          schon Farbmischungen mit verschiedenen Grundstimmen angewandt wurden, 
          erlangten solche Mischungen bei Walcker eine Pointierung: Das 
          Quintatön zum Beispiel hat bei Walcker nicht wie im Barock 
          solistisch-dominante, sondern zart einfärbende Funktion und wird erst 
          im dreimanualigen Werk Walckers im Echowerk disponiert. Dagegen werden 
          die Mensuren der anderen Stimmen fülliger, manche Prinzipale erhalten 
          streichende Qualitäten. Neu gegenüber dem Barock ist die 
          Pianissimo-Ästhetik die in Hoffenheim durch die Streicher 
          Holzharmonika und Dolce sowie durch Traversflöte 4' realisiert wird.
          
           
          
          Diese Farben bilden die Brücke zu 
          Walckers Physharmonika, die in einer Barockorgel undenkbar wäre. Es 
          wird in diesem Register also der Übertritt zu einem dynamischen 
          Verständnis des Klanges wiewohl er zuvor durch die Systematisierung 
          des Obertonspektrums in der Barockorgel schon präexistent war nun 
          gewissermaßen programmatisch manifest. Nur bedingt ist die von Walcker 
          verwendete Technik der mechanischen Kegellade für die neue 
          Klangästhetik verantwortlich. Bei einer so meisterlichen Ausführung 
          wie im Hoffenheimer Instrument ergibt sich aus dem Zusammenspiel von 
          Kegellade, Intonation und Traktur innerhalb des gesamten 
          Tastendruckvorgangs eine ungeahnte Beweglichkeit und Sensibilität für 
          die Tongebung. Das ist der eigentliche Schlüssel, der die Klänge der 
          Walcker-Orgel so lebendig sprechen lässt. Was aus der Tradition 
          ebenfalls bruchlos transferiert wird, ist zum Einen das 
          Holzhei-Konzept, der Synthese aus süddeutschem Labial- und 
          französischem Zungenklang und zum anderen die ausgeprägte 
          Ansprachecharakteristik insbesondere bei den Streichern. Ein Extrem 
          verkörpert die Holzharmonika, die mit ihrem zischenden Tonansatz ganz 
          in die Nähe der Glasharfe rückt. Walcker bekennt sich in seinem 
          Schaffen bis ca. 1850 ausdrücklich zu besonders langsam ansprechenden 
          Streichern wie dem Violonbass oder der Holzharmonika; er steigert 
          diese Ästhetik sogar noch durch die Hinzunahme des Harmoniumregisters 
          Physharmonika. Man kann daraus folgern, dass dieses Streicherregister 
          andererseits aus der Ästhetik des 18. Jahrhunderts hervorgeht und dass 
          es einerseits ein genialer Übergang zum Zungenklang bildet. Dabei 
          entsteht im Instrument ein klanglicher Kreislauf, eine Art 
          Quintenzirkel der Klangformanten, von denen kein Register 
          ausgeschlossen bleibt.
          
          Eberhard Friedrich Walcker wurde von 
          seinem Vater mit den Ideen von Abbe Josef Vogler vertraut. Zudem steht 
          seine Klangvorstellungen auch mit der Johann Sebastian Bachs im 
          Zusammenhang. Beide formulieren im Klanggeschehen Polaritäten 
          grundsätzlicher Art und entwickeln daraus kontrastierende wie auch 
          vermittelnde Eigenschaften. Solche Polaritäten sind Präsenz und 
          Durchhörbarkeit der Plena Walckers einerseits, filigrane 
          Schwebezustande andererseits. Daraus entstehen die unterschiedlichsten 
          Instrumentationen, Hell-Dunkel-Wirkungen, brüchige 
          Ansprachecharakteristiken, fahle und zartleuchtende Schattierungen. 
          Maximale Zuspitzungen erfahren diese Polaritäten durch die 
          Physharmonika, die den Hörer an die Schwelle zum Verklingen des Tones 
          führt. Folgernd leiten wir zum Stil und Stellenwert Eberhard Friedrich 
          Walckers ab. Er vermittelt uns stringent das Prinzip einer 
          ästhetischen Dialektik. Die Zuspitzung auf Polarität im prinzipiellen 
          Sinn und die Vermittlungen innerhalb der Pole bilden die Grundstruktur 
          seines Klangkonzeptes. Die Instru-mente Walckers provozieren unser 
          emotionales und künstlerisches Empfinden - gerade heute. Die einstige 
          Walcker-Orgel in der Paulskirche Frankfurt am Main von 1833 muss als 
          die epochale ästhetische Schnittstelle zwischen Klassizität einerseits 
          und radikaler Neuerung andererseits verstanden werden. Eine 
          Rekonstruktion des Instruments an einem geeigneten Ort ist deshalb 
          unverzichtbar und anzustreben. Ohne Zweifel war Eberhard Walckers 
          Instrument in der Marktkirche Wiesbaden die entscheidende 
          Inspirationsquelle für Max Regers Klangvisionen. Sein Schaffen lost 
          Betroffenheiten von historischer Bedeutung in uns aus. Die 
          Walcker-Orgel ist ein Kunstentwurf von universaler und existentieller 
          Dimensionen. Die Walcker-Orgel zeigt den Weg zu einer Universal-Orgel 
          ohne einschränkende Kompromisse. Die Walcker-Orgel zählt zu den 
          unabgegoltenen Phänomenen unserer Kulturgeschichte. Nur wenige Orgeln 
          Eberhard Friedrich Walckers sind uns erhalten geblieben. Es müssen 
          angemessene Wege zur Würdigung ihrer Bedeutung gesucht und beschritten 
          werden.
          
          Die Ästhetik einer empfindsam 
          sprechenden Klanglichkeit verliert sich ab etwa 1850. Walckers 
          Instrumente in Zagreb und Buenos Aires sind vereinfacht gesprochen 
          grober. Diese Tendenz setzt sich in der Generation nach Eberhard 
          Friedrich Walcker fort, um damit anderen, doch künstlerisch 
          gleichwertigen Ausdrucksformen Raum zu geben. Singular ist, im 
          Hinblick auf Differenzierung und Monumental/tat in einem, die Domorgel 
          in Riga aus dem Jahr 1883. Orgeln der Spätromantik neigen in 
          ungünstigen Fällen zu einer geglätteten nicht mehr sprechenden 
          Intonation. Die Brücke zu den Wurzeln des Barock ist nicht mehr 
          mühelos zu schlagen; aber, die spätromantische Orgel ist in ihren 
          Ausprägungen ein eigenständiges, vielschichtiges Phänomen und muss 
          unter eigenen Kategorien gewürdigt werden. Während die Gedanken zu 
          einer Reformorgel bei Albert Schweitzer der Fabrikorgel und bestimmten 
          Extremen Einhalt gebieten wollten, aber nie einen Widerspruch zwischen 
          Barock und Romantik bedeuteten, zielte die deutsche Orgelbewegung auf 
          einen Bruch mit der romantischen Tradition ab. Gerade dieser Umstände 
          wegen, stellten Walckers Instrumente für Albert Schweitzer ein Ideal 
          dar. Die damalige Situation ging folglich mit tiefem Mißverständnis 
          über das Wesen der Romantik einher.
          
           
          
          Die Orgelbaufirma Walcker
          
          Eberhard Friedrich Walcker (1794 - 
          1872) gründete die bedeutende Orgelbaufirma in Ludwigsburg. Er erbaute 
          Frankfurt Paulskirche, Petersburg St. Petri, Reval, Ulm Münster, 
          Zagreb Kathedrale und Boston Music Hall. In den Jahren von 1820 bis 
          1872 entstanden allein 274 Werke. Das machte mindestens 6-10 Orgeln im 
          Jahr aus. Das Jahr 1870 war mit 14 Orgeln das intensivste. Einige 
          Werke entstanden auch in der Schweiz, so zum Beispiel in: Zürich 
          (1853), 4 Werke in Lausanne (1856 und 1867), Solothurn (1865), Lachen 
          (1860), Fleurier (1860), Lichtensteig (1860), Meilen (1861), Männedorf 
          (1863), Aarburg (1864), Glarus (1865), Bischofs-zell (1865), Burgdorf 
          (1868)Neuchatel (1870), St. Croix (1870), Beaulmes (1871), Lentier 
          (1872). Als der Altmeister der Ludwigsburger Orgelbaufirma Eberhard 
          Friedrich Walcker im Jahre 1872 starb, waren längst die Söhne und 
          Orgelbaumeister Fritz (Johann Friedrich), Heinrich (Eberhard 
          Heinrich), und der Kaufmann Karl (Carl) fest im Geschäft integriert. 
          Auch die etwas jüngeren Söhne Eberhard und Paul, beide 
          Orgelbaumeister, waren dabei, sich ihre Qualifikationen zu erwerben. 
          Bis 1893 waren also fünf hochqualifizierte Söhne Eberhard Friedrich 
          Walckers in dem nun seit der Aufstellung der Concert-Orgel für die 
          Musikhalle in Boston in Amerika" (68 Register, IV Manuale, Baujahr 
          1862) als Weltunternehmen geltendem schwäbischen Orgelbaubetrieb 
          beschäftigt.
          
          Ihren ersten Erfolg errangen die Brüder 
          der dritten Orgelbauergeneration im Jahr 1873 bei der Weltausstellung 
          in Wien, wo vier Orgeln von Walcker ausgestellt waren mit der 
          Auszeichnung eines Ehrendiploms. Dies hatte die Bestellung der neuen 
          Orgel für den Wiener Stephansdom zur Folge (Ml/90 Register, Baujahr 
          1878).
          
(eingefügt Mai 2006)