Arbeitgeber

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EBERHARD FRIEDRICH WALCKER
DER ARBEITGEBER
Im Verlauf dieser Schilderung wurde für das Verhältnis Walckers zu seinen Gehilfen der Ausdruck Bruderschaft und das Bild eines Orchesters der Arbeit gebraucht. Das sind keine Übertreibungen. Die Hausgemeinschaft, die so lange beibehalten wurde, als es irgend ging, war zugleich sachlich und gesinnungsmäßig begründet. Walcker sah nicht nur die Verantwortung für die gemeinsam ausgeführten Werke, sondern in einem gewissen Sinne auch für die mit ihm verbundenen Menschen. Man darf sich darunter freilich keine sentimentale Weichlichkeit vorstellen, die kannte er für sich selber und seiner Familie gegenüber nicht; sie war auch nicht eben der hervorstechendste Zug jener Zeit und durfte es nicht sein. Es wurde gearbeitet, es wurde gerechnet, es wurde gespart. Man musste seinen Mann stellen an dem Platz, der einem zugewiesen war. Aber Walcker mutete niemand mehr zu als sich selbst und als sachlich notwendig war. Wenn der Genus von alkoholischen Getränken aus Gründen der Unfallgefahr im Betrieb verboten war, so war er es für alle. Wenn das Tabakrauchen wegen hoher Feuergefährlichkeit untersagt war, so galt das ohne Ausnahme. Es herrschte Ordnung im Betrieb, aber kein Polizeigeist. Alle waren auch zum Mitdenken aufgerufen, konnten Bedenken dieser, jener Art äußern, Besserungsvorschläge machen oder in Zweifelsfällen um Aufklärung bitten. Es wurde schon frühzeitig eine freiwillige Betriebskrankenkasse eingeführt, man sorgte für gesunde und preiswerte Wohnungen. Es gab auch schon so etwas wie Leistungszulage, den sogenannten Douceur, der nach fertigem Aufbau der Orgel an die daran beteiligten Gehilfen ausbezahlt wurde. Der Lohn lag immer etwas höher als für einfache Tischler, Holz- oder Metallarbeiter. Vor allem aber war es kein kaltes Vertragsverhältnis, das den oder die Leiter des Betriebes mit den im Betrieb tätigen Menschen verband, sondern ein gegenseitiges Treueverhältnis, durch das jeder Arbeiter und Angestellte sich an das Produkt der gemeinsamen Arbeit gebunden und in ihm sich erhoben fühlte. Es waren auch ihre Orgeln, die aus diesen Räumen hinausgingen. Außerdem galt für viele im Walckerscher Orgelbau beschäftigte Menschen, was Max Eyth seinen Hans, den munteren Monteur, von seiner Lokomotive sagen lässt:
«Für meinen Schatz, meine Lore, für meine herzige Braut Galt jeder Schlag des Hammers, seit ich daran gebaut. Er ölt und schmiert und schraubt noch an seinem Meisterstück, Du warst mir meine Freude, nun bring mir auch mein Glück."
Wir reden von einem Orgelbauergeschlecht Walcker, aber man muss auch von der oft lebenslänglichen Treue derer reden, die in der verschiedensten Weise am Bau dieser Orgeln mit handwerklicher, geistiger und künstlerischer Arbeit beteiligt waren und sind. Dazu ist schon von Eberhard Friedrich der Grund gelegt worden. Aus den Briefen Walckers an seine Frau von Plätzen, an denen er mit einigen Gehilfen zusammen eine Orgel aufstellte, geht in schöner Weise hervor, wie ihm das Wohlbefinden seiner Leute ebenso angelegen ist wie das eigene oder das eines Sohnes. In einer anderen Atmosphäre konnte er sich eine gedeihliche Arbeit auf dem Gebiet des Orgelbaues gar nicht vorstellen. Wenn er darauf drängte, sobald als möglich — besonders aus ganz fremdartiger Umgebung — wieder heimzukommen, dann dachte er dabei ebenso an seine Mitarbeiter wie an sich. Er war bemüht, ihnen den Aufenthalt auswärts zu erleichtern, sie auf bemerkenswerte Dinge aufmerksam zu machen, kurz, sie auch mit einem ideellen Gewinn fremde Länder kennenlernen zu lassen.
Trotz dieses patriarchalischen Verhältnisses findet sich schon aus dem Jahre 1847 eine Werkstätte-Ordnung für die Arbeiter der Orgelbauer E. Fr. Walcker & Spaich, die in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist. Wie § 3 dieser Ordnung besagt: „Soll es an Sonn- und Festtagen in den Werkstätten besonders still und ordentlich zugehen, damit niemand Anstoß oder Ärgernis gegeben werde. Die Festtage werden in der Regel nur denjenigen Arbeitern, die mehr als 2 Gulden 24 Kreutzer Wochenlohn erhalten, als Versäumnis aufgerechnet," d. h. dass den am schlechtesten bezahlten Arbeitern die auf einen Werktag fallenden kirchlichen oder sonstigen Festtage nicht abgezogen wurden. Es ist auch schon ein allgemeiner Schutz in Krankheitsfällen mit unentgeltlicher Krankenhausbehandlung in dieser Werkstätte-Ordnung enthalten.
Auch sozialpolitisch hat Eberhard Friedrich also schon sehr frühzeitig einen guten Grund gelegt, auf dem spätere Generationen weiterbauen konnten.
 
DIE BAULICHE UND FABRIKATORISCHE ENTWICKLUNG UNTER EBERHARD FRIEDRICH
Dass es sich auch heute beim Orgelbau nicht um einen alltäglichen Fabrikbetrieb handelt, bringt einem schon das äußere Bild der Orgelbauanstalt Walcker zum Bewusstsein. Max Eyth spricht einmal davon:
»Wie eine Kirche, so weit und lang Dehnen sich mächtige Hallen."
Hier trifft es nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich zu. Der Mittelbau macht auch nach außen durchaus den Eindruck einer Kirche mit seinen drei hohen gotischen Spitzbogenfenstern und seinen drei farbigen Glasrosetten darüber. Hinter ihnen breitet sich der zwanzig Meter lange, zehn Meter breite und dreizehn Meter hohe Orgelsaal aus. Er ist in seiner sachlichen Bedeutung an anderer Stelle schon gewürdigt worden. In diesen Saal münden von rechts und links alle anderen Hauptarbeitsräume ein, die der Fabrikation dienen. Er ist bildlich gesprochen Herz und Seele des ganzen Betriebes. Die vollständige bauliche Verbundenheit der Wohnung des Betriebsinhabers mit den Fabrikationsräumen ist charakteristisch für Geist und Art dieses Betriebes. Als die Firma ihr hundertjähriges Jubiläum feierte, da fand das Festmahl mit über hundert Personen in einem der großen Arbeitssäle der Fabrik statt und wurde aus Keller und Küche der Wohnung des Inhabers ausgestattet. Der Orgelbau ist für die Familie Walcker auch heute noch mehr als nur eine Erwerbsangelegenheit, er ist der schöpferische Ausdruck des geistigen Wesens dieser Familie. So hat Eberhard Friedrich die Dinge gesehen und gestaltet. Denn das Grundlegende für die ganze bauliche und fabrikatorische Anlage des Orgelbaues geht auf ihn zurück, soviel im einzelnen auch nach seinem Tode weiterentwickelt, mechanisiert und technisiert wurde und werden musste. Das Ganze ist heute ein großer Hauptbau von etwa achtzig Meter Länge mit fünf Stockwerken. Die Räume sind von beiden Seiten gut belichtet und dementsprechend auch gut durchlüftet. Hinter dem Hauptbau finden sich noch eine Reihe von Nebengebäuden und vor allem große Holzlagerplätze und -schuppen.
Der Arbeitsprozess ist nach den besten Gesichtspunkten gestaltet und auch entsprechend maschinell ausgestattet und organisatorisch ab- und eingestellt. Hier hat natürlich der heutige Inhaber des Werkes, Dr. Oscar Walcker, wesentlich nachgeholfen, der vor allem auch in bezug auf technische Modernisierung der Arbeitsmethoden allem erprobten Fortschritt durchaus zugänglich war und ist. Aber auch in diesen Dingen hat Eberhard Friedrich nicht nur keinen Weg in die Zukunft verbaut, wie es bei so manchen Betriebsanlagen seiner Zeit geschehen war, sondern er war für damals über den Durchschnitt aufgeschlossen für Neuerungen technischer Art. Es existiert aus dem Jahre 1861 ein Bericht über eine Besichtigung des Betriebes in einem Buch: „Land und Leute Württembergs" von Joh. Philipp Glöckler, der in anschaulicher Weise zeigt, wie der Walckersche Betrieb schon damals von lebendigstem Geist durchweht und gestaltet war. Man kann ermessen, welche Entschlusskraft und welcher Wagemut dazu gehörten, um von dem bescheidenen und beschränkten Anfang im Jahre 1820 aus, mit den zwei Räumen für Geschäft und Wohnung zugleich, die baulichen und geschäftlichen Erweiterungen und Verbesserungen durchzuführen, die in die Zeit Eberhard Friedrichs fielen. Es mussten Nachbargebäude aufgekauft oder im Erbgang erworbene eingegliedert und entsprechend umgebaut werden.
Der Heranziehung der Arbeitsmaschine bei der Herstellung der Orgelteile stand Eberhard Friedrich, wie die überwiegende Mehrheit seiner Zeitgenossen, mit einem erheblichen Misstrauen gegenüber, das sich auch noch auf seine beiden ältesten Söhne übertrug. Man war der Maschinenarbeit gegenüber überhaupt skeptisch, man fürchtete für den Arbeitsplatz des Menschen, für die Qualität der damit erzielten Leistung — billig und schlecht — und viele andere ungünstige Folgen. Das galt selbst für einfache Gebrauchsgüter, aber es galt selbstverständlich erst recht für künstlerische Leistungen, wie sie der Bau einer Orgel darstellt. Man konnte sich nicht vorstellen, dass Kunstwerke solcher Art sich mit einem technischen Rationalismus ausführen lassen, wie er in der seelenlosen Maschinenarbeit verkörpert sei. Karl Walcker, der später erst in den Betrieb hereinkam, war schon mutiger und wagte, neue Versuche zu machen. Dagegen entschloss Eberhard Friedrich sich schon verhältnismäßig früh zur Benützung einer Kraftmaschine als Antrieb für die mancherlei Hilfsmaschinen, die für verschiedene grobe und schwere Arbeitsgänge schon vorhanden waren, sowohl in der Metall- wie in der Holzbearbeitung.
So ist es begreiflich, wenn es in dem oben erwähnten Buchbericht vom Jahre 1861 zum Schluss heißt: „Und wenn wir vollends erfahren, dass gerade in dieser Werkstätte die bedeutendsten Erfindungen zur Vervollkommnung der Orgeln gemacht worden sind, so wird es uns ganz klar, weshalb hierher sich diejenigen wenden, welche in Kirchen oder Bethäusern gediegene Orgeln sich wünschen." Er hätte auch damals schon die Konzerthäuser hinzunehmen können, denn um jene Zeit war gerade die Konzertorgel für Boston im Bau begriffen. Für württembergische Auffassungen war damals die Orgel allerdings noch ein fast ausschließlich kirchenmusikalisches Instrument. Es ist wesentlich mit ein Verdienst von Eberhard Friedrich, dass er trotz seiner eigenen ausgesprochen religiösen Lebensauffassung vorurteilslos genug war, auch an der Schaffung einer Orgel mitzuarbeiten, die für eine mehr konzertante Musik kirchlicher und weltlicher Prägung bestimmt war. Ja, er hat sein praktisches und wissenschaftliches Können für eine Entwicklung zu letzterem Ziel mit demselben Eifer eingesetzt wie bei der Kirchenorgel, aus dem Wissen heraus, dass echtes und reines musikalisches Streben unter allen Umständen eine wertvolle Lebensäußerung der „höheren Natur" des Emporstrebenden im Menschen sei, die „Ewige Stimme", wie später von der Heldenorgel in Kufstein gesagt wurde.
 

Familienvater
Der Kaufmann