Kirchenlexikon Bautz-Verlag

Biographisch BibliographischesK I R C H E N L E X I K O N 


Verlag Traugott Bautz     www.bautz.de/bbkl 
Band XIII (1998)   Spalten 186-189   Autor: Hermann Fischer  


WALCKER, Eberhard Friedrich, Orgelbauer und Begründer der noch bestehenden E.F. Walcker GmbH & Co., * 3.7. 1794 in (Bad) Cannstadt, + 2.10. 1872 in Ludwigsburg. - W., Sohn des Orgelbauers Johann Eberhard W. (1756-1843) in Cannstadt, besuchte die Lateinschule bis 1811, betätigte sich aber schon als Schüler in der väterlichen Werkstatt, absolvierte anschließend die Orgelbaulehre beim Vater. Entscheidenden Einfluß auf ihn hatte die Begegnung mit dem Orgeltheoretiker und Virtuosen Abbé Vogler. Nach zehnjähriger Tätigkeit beim Vater verließ er in einer Art Arbeitsteilung das Elternhaus und eröffnete am 8.1. 1821 in Ludwigsburg eine eigene Werkstatt für die Neubauaufträge, während der Vater sich auf Reparatur- und Wartungsarbeiten beschränkte. Nach einer relativ kurzen Anlaufphase gelang W. mit dem Bau der Paulskirchenorgel in Frankfurt a.M. ein geradezu phänomenaler Erfolg, der seinen künstlerischen und geschäftlichen Ruf über Württemberg hinaus, über Deutschland und Europa, ja die ganze Welt begründete. 1836 kam der erste Auslandsauftrag aus Rußland, dem weitere folgten. Mehrere südwestdeutsche Hauptkirchen erhielten repräsentative Instrumente aus seinen Werkstätten, wobei bis zu 35 Mitarbeiter beschäftigt waren. Die Herstellung großer und schwerer Orgelteile zwang zu einer sorgfältigen Arbeitsplanung, Organisation, rationeller Arbeitsteilung und beruflicher Spezialisierung, so daß es unter dem Einsatz neuer Techniken zu vorindustriellen Fertigungsmethoden kam. Nur so konnten die überdurchschnittlich großen Werke für Petersburg, Reval, Helsingfors, Heilbronn, Zagreb, Ulm und Boston mit bis zu 100 Registern geschaffen werden. Marksteine seiner Tätigkeit waren die Einführung und Vervollkommnung der Kegellade (1842), verschiedener technischer Neuerungen, die Einrichtung arbeitsteiliger Werkräume, eines Montagesaales (1834) und vorausschauender sozialpolitischer Maßnahmen. 1842 nahm er Heinrich Spaich (1810-1908) als Teilhaber, 1854 seine Söhne Heinrich (1828-1903) und Friedrich (1829-1895) ins Geschäft, nach und nach auch noch die jüngeren Söhne Karl (1845-1908, Paul (1846-1928) und Eberhard (1859-1926). 1871 zog sich W. aus gesundheitlichen Gründen aus dem Betrieb zurück. Bis zum Ende dieses Jahres verließen laut Opuszählung 266 Orgeln die Ludwigsburger Werkstätten. - W. gilt als der bedeutendste Orgelbauer Süddeutschlands im 2. Drittel des 19. Jh., der über sein handwerkliches Können hinaus technologische Entwicklungen und fortschrittliche Arbeits- bzw. Betriebsorganisationen im Orgelbau maßgeblich förderte, ohne dabei seine im Grunde konservative Lebenshaltung preiszugeben. Er sah in seinem Beruf eine von Gott gegebene Berufung, der er mit der »Kraft seines Lebens« gerecht zu werden suchte. W. fachliche und menschliche Ausstrahlung als Lehrmeister war so attraktiv, daß zahlreiche junge und strebsame Orgelbauer einen Ausbildungsplatz in seinem Betrieb nachsuchten, die ihrerseits und auf ihre Weise den von W. geprägten Orgelstil weiterverfolgten und eigene bedeutende Werkstätten gründeten: Haas in Luzern, Kuhn in Männedorf, Laukhuff in Weikersheim, Link in Giengen, Marcussen in Apenrade, Lütkemüller in Wittstock, Sauer in Frankfurt a.O., Steinmeyer in Oettingen, Strebel in Nürnberg und Weigle in Stuttgart u.a.

Werke (Auswahl): 1821 Kochersteinsfeld I/9 (Register) Opus 1; 1827-33 Frankfurt a.M., Paulskirche III/74; 1835 Tübingen, St. Georg III/37; 1837 Schwäb. Hall, St.Michael III/38; 1839 Stuttgart, Stiftskirche IV/74; 1839 Petersburg St. Petri III/63; 1842 Reval, St. Olai III/65; 1843 Schramberg, Kath. Kirche III/35; 1847 Helsingfors, Nicolai III/54; Heilbronn, St. Kilian III/50; 1851 Reutlingen III/37; 1855 Agram (Zagreb), Kathedrale III/52; 1857 Ulm, Münster IV/100; Frankfurt a.M., Dom III/51; 1862 Wiesbaden, Marktkirche III/53; 1863 Boston, Music Hall IV/89; 1865 Mühlhausen/E., St. Stephan III/62; 1867 Hagenau,St. Georg III/40; 1871 Oppenheim, Katharinenkirche II/32. Ein nahezu vollständiges chronologisches Werkverzeichnis in: Moosmann/Schäfer (s.u.) S. 226-232.

Lit.: Karl Friedrich Klaiber, Orgelbauer Walcker von Ludwigsburg, in: Daheim V 1869, 411 ff.; - ADB XL 1896 (Neudr. Berlin 1972) 657-659 (Theodor Schott); - Gotthold Bohnet, Die Ludwigsburger Orgelbauindustrie in hundertjähriger Entwicklung (Diss. Heidelberg 1920); - Ders., E.F. Walcker & Cie, Ludwigsburg (Wttbg.) 1920 mit Werkverzeichnis regional-alphabetisch; - Emile Rupp, Die Entwicklungsgeschichte der Orgelbaukunst, Einsiedeln 1929, 131-143; - Gustav Walcker, Lebensgang des Eberhard Friedrich Walcker, in: Walcker-Nachrichten IV 1932; - H. Walcker, Das Geschlecht der Walcker in sechs Jh., Stuttgart 19402; - Willibald Gurlitt, Die Paulskirchenorgel in Frankfurt a.M. in: ZfI 60 (1940), 89-90, 102-103; - Ders., Schwäbische Orgelbaukunst, in: ZfI 61 (1941), hier 123-124; - Oskar Walcker, Erinnerungen eines Orgelbauers, Kassel 1948; - Johannes Fischer, Das Orgelbauergeschlecht Walcker in Ludwigsburg, Kassel 1966; - Gotthilf Kleemann, Die Orgelmacher und ihr Schaffen im ehemaligen Herzogtum Württemberg, Stuttgart 1969; - Hermann Fischer/Theodor Wohnhaas, Eberhard Friedrich Walcker, Orgelbauer 1794-1872, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken XIII, Stuttgart 1977, 247-266; - Dies., Eberhard Friedrich Walcker (1794-1872) in: Orgelwissenschaft und Orgelpraxis, Festschrift zum 200jähr. Bestehen des Hauses Walcker (Veröffentlichungen der Walcker-Stiftung hrsg. v. H.H. Eggebrecht, Heft 8) Murrhardt-Hausen 1980, 160-197; - Dies., Lexikon süddeutscher Orgelbauer, Wilhelmshaven 1994, 443-446; - Ferdinand Moosmann/Rudi Schäfer, Eberhard Friedrich Walcker (1794-1872), Kleinblittersdorf 1994; - Gerber NTL; - Riemann 192210 1389; 1975 Erg. II, 872; - MGG XIV Sp. 141-143 (Hans Klotz); - H. Fischer, 100 Jahre Bund deutscher Orgelbaumeister 1891-1991), Lauffen 1991, 330-331.

Hermann Fischer

Letzte Änderung: 14.06.1998

Lexika
Musik in Geschichte und Gegenwart